Ich fange mal von hinten an ...

2012 haben wir zu Ende gebracht. Es war ein seltsames Jahr. Wir waren phasenweise dem Wahnsinn nahe. Ich habe unzählige Maschinen Wäsche zu allen Tageszeiten gewaschen. Michael hat sich im Laufe des Jahres zum Pfleger Michael gewandelt, Bert ist im Laufe des Jahres schon wieder ein gutes Stück erwachsener geworden - und Lili hat sich bei allem Leiden ihr sonniges Wesen bewahrt.

Wir sind durch alle möglichen Höhen und Tiefen gegangen. Toll war, dass wir das Gefühl hatten, dass die Forschung langsam auch nach Europa kommt. Toll war auch, wie viel Unterstützung wir in diesem Jahr erfahren haben sowohl moralisch, praktisch als auch finanziell. Das ist eine der Quintessenzen dieses vergangenen Jahres. Wir stehen nicht alleine da, unsere Verwandten und Freunde unterstützen uns in vielerlei Hinsicht, aber auch viele Menschen, die wir zum Teil nicht mal (gut) kennen oder andere, die uns auch rein "professionell" begegnen könnten, dies aber nicht tun, sondern sich weit darüber hinaus engagieren - ein gutes Beispiel dafür sind die beiden lieben Damen vom Kinderhospizdienst, die Lili je einmal die Woche besuchen, aber auch unsere Apothekerin in Wesseling, die uns das Leben sehr erleichtert. Und nicht zu vergessen viele meiner Chefs und Kolleg/-inn(en). Uns schwappt extrem viel Hilfsbereitschaft entgegen. Eine liebe Familie aus dem Nachbarort, die wir durch eine Kollegin kennengelernt haben, hat extrem viel für uns getan, mein Arbeitgeber hat unsere Selbsthilfegruppe auch dieses Jahr wieder mit einem Teil der durch Weihnachtsmails statt Karten eingesparten Kosten in einer mehr als riesigen Spende bedacht. Ein anderer Chef von mir hat sich spontan an seinem Geburtstag statt Geschenken für unsere Selbsthilfegruppe Spendengelder gewünscht. Eine andere Kollegin hat ebenfalls ihr gesamtes Geburtstagsgeld auf unser "Notgroschen für Lili"-Konto gespendet. Dafür können wir nur immer wieder DANKE sagen und wussten im vergangenen Jahr mal wieder in vielen Situationen nicht mehr, wohin mit unserer Rührung!

Phasenweise war das Jahr auch recht verwirrend. Man wird durch die Krankheit und durch das Engagement für die Sache mit Situationen konfrontiert, in denen man Bauchentscheidungen treffen muss; man gerät in Situationen, in die man im "normalen" Leben nie gekommen wäre. Für mich ist es wichtig, meinem Gefühl vertrauen zu können, das Richtige zu tun und auch in dem ganzen psychischen und physischen Stress, dem wir seit Jahren ausgesetzt sind, trotzdem zu versuchen, mich nicht zu verbiegen.

Aber jetzt das Jahr im Detail:

Im letzten Jahr (2011) war Lili sehr stabil. Es war ein wichtiges Jahr, weil wir viele interessante und engagierte Menschen kennenlernen durften, die sehr viel für unseren gemeinsamen Kampf gegen die Krankheit und v.a. gegen die Zeit tun.

Leider fing das neue Jahr nicht gut an. Bei Lili hat sich eine chronisch entzündete Mariske entwickelt. Durch die Entzündung musste Lili in der Woche vor Karneval notfallmäßig ins Krankenhaus und dort operiert werden, da sich die Entzündung im Knie festsetzte. Die Ärzte in der Orthopädie auf dem Venusberg mussten um halb eins nachts eine Arthroskopie durchführen, Mama erlebte zwei furchtbare Stunden im Wartebereich vor dem OP.

Lili erholte sich überraschend schnell, verbrachte die Woche auf der Intensivstation mit regelmäßigen Besuch der Großcousine Kristina, die ein kritisches Auge auf Lilis Betreuung hat (sie ist selbst Intensivschwester auf dem Venusberg) - allerdings bei den Erwachsenen :-) und vielen anderen Besuchern (Gurke, Tante Elgin, Johanna ...).

An dieser Stelle muss ich auch wirklich sagen, dass wir in der Kinderklinik am Rhein in Bonn sehr gut betreut wurden. Unser großes Problem war, dass wir eigentlich Karnvevalsamstags nach Washington ins NIH fliegen wollten, um an der dort durchgeführten Natural History Study von Dr. Porter teilzunehmen. Die Ärzte in Bonn setzten alles daran, dass wir hätten fliegen können, sie übersetzten sogar den Arztbericht auf englisch. Gescheitert ist es letztendlich am Heparin, das Lili für den Flug hätte gespritzt bekommen müssen, so dass man dann in Washington keine Lumbalpunktion hätte durchführen können. Und wir waren so froh, als wir die Absage aus Amerika bekamen. Denn weder Lili noch wir waren eigentlich reisefähig nach dieser Woche. So hatten wir ein schönes langes Karnevalwochenende, an dem wir uns alle etwas erholen konnten, bevor der Alltag weiterging. Wir waren auch mal wieder begeistert wie gelassen und gut gelaunt Lili diese ganze Tortur weggesteckt hat.

Die letzten Wochen verbringen wir mit Intensivpflege. Wir versuchen durch intensive Hygiene die Mariske zu behandeln, was natürlich extrem zeitaufwändig ist. Und Lili hat in dieser Zeit leider noch mehr abgenommen. Die Krankenkasse hat sich nach einiger Willensanstrengung unsererseits bereit erklärt, Lili eine Kakaozusatznahrung zu bewilligen, die Lili auch sehr gerne mag - glücklicherweise. Im Moment sind wir - mal wieder - sehr besorgt.

Aber es gibt auch eine gute Nachricht. Lili hatte seit Anfang Januar keinen Anfall mehr (toi, toi, toi).

 

Wieder Krankenhaus - PEG

 

Lili sollte am 1. Mai ins Krankenhaus kommen für eine Rektoskopie und um Ihre schlimme Fissur und ihre sehr schmerzhaften Marisken zu entfernen. Natürlich kam alles anders. Sie hatte wieder so schlimme Durchfälle, dass wir uns große Sorgen gemacht haben. Dazu kam, dass uns eines Abends Ende April auffiel, dass sich schon wieder Knieschwellungen gebildet hatten, diesmal an beiden Knien. Also abends Krankenhaus, diesmal OP nachts um 3, 5 Uhr morgens auf Intensiv und dort einen tollen Arzt getroffen, der sich tatsächlich mit NP auskannte und auch schon auf dem vorletzten NP-Forum von Actelion war. Das war wirklich ein Highlight - wobei ich wirklich sagen muss: Die Bonner Ärzte, die wir bisher kennenlernen durften waren herausragend. Unendlich bemüht und fachlich äußerst kompetent. UND WIR HABEN SCHON VIELE ÄRZTE KENNENGELERNT. Wir blieben direkt 10 Tage, denn es wurde Lili auch direkt eine PEG (Magensonde) gelegt und alles weitere in einem Aufwasch erledigt. Dieser Krankenhausaufenthalt war völlig ok. Es wird einem dort von dem Personal leicht gemacht, sich einigermaßen wohl zu fühlen, man ist als Eltern auch schön untergebracht und auch die Lage direkt am Rhein hat eine für die Seele äußerst wohltuende Wirkung.

Und nochmal ...

Zwei Wochen später, wir hatten Lili grade aufgepäppelt stand der nächste Krankenhausaufenthalt an: Diesmal Magen-Darmspiegelung und einige andere Untersuchungen. Details erspare ich an dieser Stelle. Es war anstrengend für sie. Es ist genau das Gegenteil passiert, was wir während unserer NP-Diagnose-Odyssee erfahren mussten. Die Ärzte der Kinderklinik Bonn haben nicht lockergelassen herauszufinden, woher Lilis komische Symptome kommen, die nicht wirklich typisch sind für Niemann Pick. Es hat sich herausgestellt, dass sie wohl unter Morbus Crohn leidet (evtl. verursacht durch NP). Der Diagnoseansatz ist für mich als mit Medikamenten vorsichtiger Mensch eingentlich gut: Kein Kortison, sondern eine reine Ernährungstherapie. Für Lili nicht so toll, denn das bedeutet: Acht Wochen keinerlei Essen, nur stilles Wasser zu trinken und über die Sonde eine Flüssigkeit, die riecht wie Babybrei. Also nicht wirklich eklig, aber nicht vergleichbar mit dem Geschmack des mediterranen Essens, das Lili sonst bevorzugt (Krabben, Oliven, Avocado...). Naja, drei hat sie schon um, aber leider immer noch Durchfälle - wenn auch viel weniger als vorher. Wir ziehen das jetzt einfach mal weiter durch.

Das Prozedere mit der Ernährungstherapie musste Lili dieses Jahr sogar zweimal über sich ergehen lassen. Sie war zweimal acht Wochen auf die spezielle Nahrungsdiät gesetzt, dass sie ausschließlich durch Sondennahrung und Wasser ernährt werden durfte. Wir haben verschiedene Sondennahrungen ausprobiert, aber die Durchfälle hörten einfach nicht auf. Mittlerweile sind wir bei Hipp geblieben. Jetzt zu Ende des Jahres bekommt sie 1000 Kalorien normale Nahrung und nachts 500 Kalorien Sondennahrung. Das klappt ganz gut, seit Ende September heilen endlich die Darmfissuren ab und sie hat keine Durchfälle mehr.

Urlaub

hatten wir bitter nötig. Spontan haben wir das allerletzte Ferienhaus auf der Insel Föhr gebucht. Es war total schön! Fornus und Bert konnten surfen, Lili und ich haben uns durchpusten lassen. Ruhe, tolle Landschaft, wenig Menschen - und dabei noch erstaunlich preiswert ... ABER: am Ende des Urlaubs hatte Lili wieder Blutungen und musste nochmal ins Krankenhaus - und da wir nicht mehr auf der Kinderintensiv untergebracht waren, wurde uns bewusst, dass wir uns "Krankenhaus" in nächster Zeit nicht noch mal geben müssen. Zum Glück hat das bisher geklappt! Jedoch haben die beiden schönen Wochen eine gute Grundlage geschaffen - für uns alle!

 

Loire Valley Meeting

Die Niemann Pick Suisse Selbsthilfegruppe hat gemeinsam mit der deutschen Selbsthilfegruppe ein europäisches Forschertreffen auf die Beine gestellt. 15 europäische äußerst renommierte Grundlagenforscher haben sich in einem Loireschloss gemeinsam mit den beiden amerikanischen Spezialisten zu einem Brainstorming getroffen. Wir waren als Serviceteam dabei. Das Schloss wurde kostenfrei zur Verfügung gestellt, die anderen Kosten wurden so natürlich so niedrig wie möglich gehalten. Bei dem Treffen wurden einige neue fruchtbare Kollaborationen gebildet, es war ein erster Schritt, Forschung in Europa zu beschleunigen! Teilfinanziert wurde das Treffen durch die großzügige Bambispende. Lilis Patenonkel Bernd war dabei und hat sich super liebevoll um Lili gekümmert!

Wir haben neben dem Schloss in einem Zirkuswagen gewohnt - wildromantisch! Leider hat das mit Lilis Pflegebedarf nicht so gut geklappt - deshalb durften wir für die letzte Nacht ins Schloss umziehen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Besserung

Ab September ging es plötzlich aufwärts. Lili konnte sogar Anfang September wieder in die Schule - zum ersten Mal seit Anfang April. Rückblickend weiß ich gar nicht mehr, wie wir diese fünf Monate überbrücken konnten. Es war wirklich eine harte Zeit. Uns war sehr mulmig zumute, als Lili wieder zur Schule ging. Sie war fast ein halbes Jahr sehr immobil, konnte fast nur liegen - und dann noch die ganzen Krankenhausaufenthalte. Außerdem war sie auch immer noch auf "Sonde" :-) Aber dank der großen Unterstützung und Flexibilität durch Schule, Schulbus und Lehrerteam war es dann doch machbar. Unser Leben begann wieder in geordneteren Bahnen zu verlaufen. Vorher hatte Michael Lili oft mit in den Laden genommen - was natürlich schon stressig war, da er dort dann nicht nur polstern und Kunden bedienen musste, sondern nebenher noch Lili pflegen und sondieren. Mein Arbeitgeber hatte mir erlaubt, in Härtezeiten auch schon mal von zuhause aus zu arbeiten (was man natürlich auch nicht überstrapazieren möchte - vor allem - wer weiß was noch für "Härtezeiten" kommen). Außerdem hatten und haben wir die große Unterstützung von unseren beiden guten Feen des ambulanten Kinderhospizdienstes - und natürlich unsere liebe Dienstags-Gisela. Auch Bert war schon häufig eingespannt - und unterstützt uns nach besten Kräften wirklich immer klaglos!!!!!!

Geburtstag

Mitte Dezember wurde Lili 13. Sie war so fit, dass sie sogar Geschenke ausgepackt hat und sich auch offensichtlich gefreut hat - an den Luftballons und an den schönen Geschenken. Sie wurde von vielen lieben Menschen bedacht - wir waren sehr gerührt, wieviele Gedanken sich die Schenker gemacht haben, wie man Lili eine Freude bereiten kann.

 

Weihnachten

 

Die Zeit zum Durchatmen. Und Freude an Lili haben. Es ist schön zu beobachten, wie sie sich an der Musik, den Lichtern, Dekorationen und der Stimmung erfreut. Wir hatten Stress bis zur letzten Sekunde - schon allein dadurch, dass wir ladentechnisch (zum Glück) das Weihnachtsgeschäft aktiv mitmachen durften :-) Aber dann waren die ruhigen Tage umso schöner und wichtiger.